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Wenn das Kind der jungen Frau weicht

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Glücklicherweise leben wir in einer Zeit, in der die Meinung eines Kindes im Fokus stehen darf. Foto: Matheus Bertelli (Pexels)

Meine zwölfjährige Tochter hört Musik, ihr Handy in der Hand. Unweigerlich sehe ich sie plötzlich elf Jahre zurück vor mir und das Mobiltelefon transformiert zum Kuschelhasen. Ein seltsamer Schmerz überkommt mich.

Ich scheine damit nicht allein dazustehen: Adriano Celentano besingt das rasante Wachstum seiner Tochter 1980 in «Il tempo se ne va», und ABBAs Lied «Slipping through my fingers» beschreibt die Rückschau einer Mutter auf eine Zeit, die ihr durch die Finger rann. Doch worin genau besteht diese Melancholie?

Ambivalenz der Gefühle

Ich freue mich an der Entwicklung meines Kindes, das den Weg zur jungen Frau geht. Und gleichzeitig trägt das pubertäre Vorwärts den leisen Abschied vom kleinen Mädchen in sich, das nicht mehr nach dem Nuggi, sondern nach einem Hotspot fragt und will, dass ich sein Taschengeld erhöhe anstatt böse Träume vertreibe.

Doch gelingt es mir kaum, Freude über diese Prozesse zu empfinden, die ein gesundes Leben letztlich ausmachen. «Diese Ambivalenz der Gefühle ist eine natürliche Reaktion», beruhigt mich Linda Wüthrich, Psychotherapeutin aus Luzern, auf Anfrage. Man habe das eigene Kind intensiv begleitet und sähe mit Stolz, wie sich die Selbständigkeit entwickle.

«Der wohl grösste Ablösungsprozess im Leben eines Menschen»: Linda Wüthrich über die Pubertät. Foto: PD

«Gleichzeitig geht aber ein Lebensabschnitt zu Ende, und das kommt einem Abschied gleich», erklärt Wüthrich. Sie meint: «Es ist der wohl grösste Ablösungsprozess im Leben eines Menschen, was unweigerlich mit Trauer verbunden ist.» Begreifliche Erklärungen. Doch der Schmerz im Herzen treibt mich zu weiteren Fragen an.

Plötzlich im Rampenlicht der Welt

Lange haben wir Eltern gesteuert, was in das Leben unserer Tochter drang: Essen, Spielzeug, Freizeit, Freunde, Werte. Nun sollen die Tore dieser vermeintlich «geschützten Werkstatt» aufgestossen werden, nicht nur einen ängstlichen Spalt breit. Ich frage mich: Wie sieht die Gesellschaft da draussen aus?

«Junge Frauen schildern mir, dass sie Druck in vielen Lebensbereichen spüren. Ob Beruf, Aussehen, Leistung, Freizeit – es muss alles immer schneller und perfekter sein», stellt Wüthrich fest. «Auch die ständig ablaufenden Vergleiche auf Social Media üben einen Druck aus, der sich in den letzten Jahren verstärkt hat und mit einer Lebensphase zusammenfällt, die sowieso mit Unsicherheit verbunden ist», ergänzt die Fachpsychologin.

Wie lebe ich als Mutter den Umgang mit Druck und Perfektionsanspruch vor? Wie gehe ich mit Sozialen Medien um? Diese Fragen betreffen wohl Söhne und Töchter, die Genderfrage tut es nicht. Wüthrich stellt fest: «Unsere Mütter mögen uns Frauen viel an Rechten und Möglichkeiten erkämpft haben, und wir werden heute von Männern und Frauen in unseren Vorstössen unterstützt. Aber die Gleichheit erlangten wir noch nicht.» Inwiefern war und bin ich hierin Vorbild für meine Tochter in meiner Lebensgestaltung? Es ist wichtig, sich diese Frage oft zu stellen.

Abschied ist Neuanfang

Meine Tochter wird den Knacknüssen dieser Welt begegnen: Sie wird vielleicht gegen Lohnungleichheit kämpfen und gesellschaftliche Rollenanforderungen schmerzhaft spüren. Doch glücklicherweise leben wir in einer Zeit, in der die Meinung eines Kindes im Fokus stehen darf. Seine Bedürfnisse bedeuten etwas, und es gibt früh Dialoge auf Augenhöhe.

Ich sehe, dass mein Teenager die Selbständigkeit mit Freude erobert und eigene Rechte im Alltag verteidigt: Da wird die Bildschirmzeit neu verhandelt und es wird Privatsphäre eingefordert, wenn die Brüder Grenzen überschreiten. Diese Kompetenzen hatte ich in ihrem Alter nicht, scheint mir. Zudem finden Lehrpersonen in die Rolle von Lerncoaches und erarbeiten nebst Fachwissen mehr und mehr Kompetenzen und Strategien, mit denen kritische junge Menschen der schnell wachsenden Welt begegnen können.

Abschied ist Neuanfang. Wenn ich meine Tochter und ihre Peers anschaue, so sehe ich Kraft und Dialog. Das Weh im Herzen beim Blick zurück wird wohl mein Weggefährte bleiben. Aber ich kann die Energie des Aufbruchs in meine Vorbildfunktion setzen. Meine Tochter also guten Mutes in die Zukunft zu begleiten und ihre Ressourcen immer wieder zu stärken versuchen.

Der Beitrag Wenn das Kind der jungen Frau weicht erschien zuerst auf Mamablog.


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